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Eine „Jammermutti“ spricht Tacheles

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Eine „Jammermutti“ spricht Tacheles

Es weht ein frischer Wind unter den Mamis dieser Welt: Der Wind der Ehrlichkeit. Das erdrückende Supermami-Image, das Frauen als Alleskönnerinnen, Erziehung als Kinderspiel und die Gesellschaft als Oase der Kinderfreundlichkeit propagiert, ist veraltet. Wir sprachen mit einer selbst ernannten Jammerfrau, die mit einem Zeit-Online Artikel für Furore sorgte und endlich die Schönrederei sein lässt.

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Nicht wundern, das ist der ganz normale Familienalltag.

Womensvita: Deinen Blog „Herzmutter“ finden wir wahnsinnig erfrischend in der Welt der „perfekten Supermütter“, deren Kinder nie schreien, alle hochbegabt sind und wo die Mamas auch noch Zeit haben, regelmäßig zur Maniküre zu gehen. Was waren eigentlich deine Gründe, warum du mit dem Bloggen angefangen hast? Was möchtest du mit „Herzmutter“ erreichen?

Janina: Vielen Dank für das Kompliment… ja das waren im Übrigen auch ein Großteil der Gründe, weshalb ich zu Bloggen begann: ich fühlte mich allein und unverstanden zwischen all diesen Supermuttis, die nichts besseres zu tun hatten, als ständig ihre Kinder zu vergleichen und mir Ratschläge zu erteilen, als hätte ich noch nie etwas von deren Küchenpsychologie gehört. Unsere Tochter gehört zu der Kategorie „anspruchsvolleres Kind“ und hat deshalb andere Maßstäbe als andere Kinder, die total pflegeleicht sind. Ich wollte also nicht nur andere Mütter finden, denen es genauso geht, sondern öffentlich machen, wie schwierig Kindererziehung manchmal sein kann – ich bekomme tatsächlich viele Kommentare und auch Mails von Müttern, die sich bedanken, dass es endlich mal jemanden gibt, der die Wahrheit ausspricht und nicht alles zwanghaft schönreden muss.

Dein Zeit-Online Artikel „Dann bin ich eben eine Jammerfrau“ hat ja einige regelrechte Kommentarflut ausgelöst. Was waren denn die häufigsten Reaktionen? Wie bist du damit umgegangen?

Damit habe ich ehrlich gesagt gar nicht gerechnet; ursprünglich wollte ich einfach meinen Beitrag leisten zu der aktuellen Jammerfrau–Debatte, die sich durch diverse Medien zog und beschreiben, wie der Arbeitsalltag einer Mutter beginnt und was dabei in ihr vorgeht. Sozusagen das Kontrastprogramm zur gehypten Working Mum, die gerne arbeiten geht und ihre Kinder problemlos in öffentlichen Institutionen abgibt – dem Bild, dem wir Mütter heutzutage alle entsprechen sollen.

Die häufigsten Reaktionen waren irgendwas zwischen „Ich kann dich verstehen, aber du machst xy falsch“ und „Du bist eine schlechte Mutter weil xy“. Ich fand es schon heftig, was alles spekuliert wurde, jedes kleine Detail wurde auseinandergenommen und dann ging das Gerate los: bin ich alleinerziehend, habe ich ein Problem mit meiner Mutter, die ja babysittet und so weiter. Irgendwer hat dann auf meinen Blog verlinkt und dann ging das Geschimpfe weiter, weil ich eben auch mal kritische Dinge geäußert habe. Also ganz ehrlich, ich habe irgendwann aufgehört, die Kommentare zu lesen und einfach meine Stellungnahme geschrieben. Da hat sich dann auch keiner von den Zeit Online-Lesern mehr geäußert, aber die Klickzahlen sprachen Bände.

Existiert sie nun, die Supermutti?

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Janina ist keine Supermutti – und will auch nie eine werden.

Das Dilemma „Supermutter und Superarbeitnehmerin“ kommt ja immer wieder in den Medien auf und sorgt für hitzige Diskussionen. Warum ist es, deiner Meinung nach, noch immer ein Tabu zu sagen „ Mir fällt es schwer, ich schaff es manchmal kaum“, wenn sich doch jede Mutter manchmal so fühlt?

Da gibt es dieses übermächtige Bild in den Medien von der Mutter, die arbeitet und mehrere Kinder hat, ihren Haushalt schmeißt und eine tolle Beziehung führt. Das ist irgendwie der Fluch der heutigen Gesellschaft: eine Frau möchte emanzipiert sein und die gleiche gesellschaftliche Stellung haben wie der Mann und zum anderen will sie Kinder, die dem hehren Ziel leider im Weg stehen. Es ist eine Tatsache, dass es kaum möglich ist, trotz Kinder Karriere zu machen und ich bewundere alle Frauen, denen das gelingt. Vielleicht wollen wir uns nicht eingestehen, dass es da einen riesigen blinden Fleck in der Gesellschaft gibt, an dem dringend gearbeitet werden muss.

Als sei Kinder bekommen und großziehen nicht schon schwierig genug, setzt der gesellschaftliche Druck, eine „perfekte“ Mama sein zu müssen und möglichst schnell wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden zusätzlich jeder Mama zu. Warum gibt es, deiner Meinung nach, dann so wenig Solidarität unter den Müttern?

Das wüsste ich auch gern, ich schreibe regelmäßig zu dem Thema Frauensolidarität. Aber ich vermute, dass es bei vielen Frauen eine Mischung aus schlechtem Gewissen und somit Selbstaufwertung ist, wenn sie wild kritisieren und Ratschläge erteilen. Die Working Mum fühlt sich vielleicht angegriffen, weil die Hausfrau mehr Zeit für ihre Kinder hat und andersherum gibt es den Druck der Gesellschaft, dass eine Frau alles unter einen Hut bekommen muss und dem die Hausfrau nicht entspricht.

Die Neugierde der kleinen Terrornudel

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Janinas Blog lädt ein zu herrlich komödiantischen Kostproben der großen und kleinen Alltagshürden.

Janinas Kind war das Gegenteil von einem klassischen Bilderbuchkind. Da, so findet sie, muss man auch nichts schön reden.

Wie hält dich denn deine kleine „Terrornudel“ auf Trab? Wie hat sie sich denn den Namen verdient?

Der Name stammt aus der Zeit, als sie gerade lernte, sich hochzuziehen und gerne vor dem Spiegel stand um bis nachts um 12 oder 1 Uhr laut „Dudeydudeyduuu“ zu kreischen. Ich war kurz vorm Verzweifeln und wusste nicht mehr was ich machen soll, um sie runterzubringen. Das ist bis heute ein großes Thema: sie schaltet schlecht ab, schläft wenig oder nur spät und dreht sich dann so richtig hoch. Mittlerweile kommt sie auch in die Trotzphase und ist eigentlich in jeder wachen Sekunde am Kreischen – da kommt Freude auf. Die Terrornudel ist ein sehr lautes und forderndes Kind und wir lieben sie dafür, auch wenn sie echt an unseren Nerven zerrt: sie ist ein echter Charakterkopf.

Was sind die schönsten Momente für dich als Mama?

Ich liebe es, mit meiner Tochter zu kuscheln oder auf dem Bett herumzutollen – sie kugelt sich dann hin und her, lacht und wir albern ewig herum. Natürlich ist es auch wunderschön, wenn sie auf mich zu rennt und sich an mich klammert, so als würde sie sagen, dass ich Ewigkeiten weg war. Außerdem liebe ich es, mit ihr Neues zu entdecken – das fasziniert mich an Kindern generell, dieses Staunen und diese Freude an allen Dingen, alles ist aufregend. Und wenn man versucht, ihre Sichtweise zu teilen, wird man die Welt auch wieder ein Stück magischer empfinden.

Kann man das überhaupt schaffen?

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Kommt Ihnen dieses Gefühl bekannt vor?

Janina bringt es direkt und ehrlich auf den Punkt: Karrierefrau und Familienmutter vertragen sich in der heutigen Zeit einfach nicht gut. Das musste mal ausgesprochen werden! Ihre Lösungsvorschläge: Eine gute Hebamme, weniger googeln und politische Veränderungen.

Die meisten Schwangeren lesen sich durch Berge von Büchern oder suchen Rat im Internet. Du hast sogar Erziehungstheorien studiert und schon mit verhaltensauffälligen Kindern gearbeitet: Kann man sich auf das was kommen wird, wirklich vorbereiten? Hat dir dein beruflicher Hintergrund geholfen?

Das klingt jetzt nach einem entweder–oder. Ich würde schon empfehlen, einige ausgewählte Bücher zu lesen oder sich mal im Internet umzuschauen, allerdings kann es auch ein Zuviel geben. Googelt bloß nicht über Schwangerschaftsbeschwer

den, da kann man paranoid werden. Aber wirklich vorbereiten kann einen nichts, was man nicht selbst erlebt hat. Mein beruflicher Hintergrund hilft mir jetzt erst so langsam, wo es an die Erziehung geht, aber bei Säuglingen tat sich da schon eine Lücke auf. Was wirklich geholfen hat, war meine Hebamme, die nach der Geburt jeden Tag zur Verfügung stand und auf alle Fragen geantwortet hat.

Was würdest du an der Familienpolitik ändern wollen?

Ich finde die Ansätze von Manuela Schwesig sehr gut und hoffe, dass sie einen Weg findet, diese in der aktuellen Regierung auch durchzusetzen. Es fehlt ein geeignetes Teilzeit–Modell für Eltern, also nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter, denn beide sollten die Chance oder eben die Pflicht haben, sich um die Kinder zu kümmern. Frauen stecken meist zurück im Beruf und landen in der Altersarmut während die Männer auf viele Erfahrungen

mit ihren Kindern verzichten. Gerade in den ersten Lebensjahren der Kinder, nicht nur im ersten, sollte es eine finanzielle Unterstützung geben, und die kann so aussehen, dass beide Eltern in Teilzeit arbeiten, aber voll bezahlt werden. Auch Frauen, die über Kinder nachdenken, brauchen einen Anreiz, den nur die Politik schaffen kann, denn es heißt nicht umsonst, dass man sich zwischen Kind und Karriere entscheiden muss – und immer mehr Akademikerinnen warten nicht umsonst sehr lange mit dem Kinderwunsch oder verzichten schlussendlich.

Hilfe!

Zum Schluss, das, was werdenden Müttern wohl am meisten hilft: Konkrete Ratschläge. Superjammermutti Janina gibt drei wertvolle mit auf den Weg:
[su_box title=“Tipps für Mütter“ box_color=“#dea5a5″]

  1. Bitte plant nichts für die Zeit nach der Geburt und lernt eure Kinder erst mal kennen, das kann euch viele Enttäuschungen ersparen.
  2. Natürlich ist die Familie wichtig, aber lasst euch Zeit, euch auf euer Kind einzulassen, bevor ihr alle einladet. Das ist alles anstrengender als gedacht, und auch ohne Besuch sind gerade die ersten Wochen wahnsinnig chaotisch.
  3. „Nicken und Lächeln“. Die ultimative Antwort auf die unzähligen nervigen Ratschläge, die man so bekommt. Und dann einfach das machen, was euch eure Intuition sagt.

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Wir danken für das wirklich inspirierende Gespräch und wünschen alles Gute für die Zukunft als erfrischend normale Mutter mit Terrornudel!

Shutterstock.com/ollyy/Nomad_Soul

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